Von der Gründung im Jahre 1925 bis zum zweiten Weltkrieg
Bericht – Erlebnisse – Plaudereien
So fing es an „Wat make wey bloß van Middag?“
So unterhielten sich in dem Jahre um 1910 herum eine Anzahl von Weselaner Jungens. Man muss wissen, dass in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg in Wesel auf der Straße nur Platt gesprochen wurde. Es war an einem Sonntagnachmittag; die Sonne lag auf der weiten Wasserfläche des „Halben Mondes“, einem großen Wallgraben, der damals immer voll Wasser stand und in dem die Frösche lustig quakten. Am Hansaring entstand in dieser Zeit ein neues Wohngebiet. Da lagen Balken und Bretter in Mengen herum. Wir wurden uns bald einig: „Wey make ons en Floß!“ rief der Älteste von uns aus. Der Vorschlag fand Beifall und so ging bald das Zimmern los, Balken wurden zusammengefügt und Bretter darauf genagelt. Wir stakten dann wie die Piraten in See und waren bei diesem Abenteuer glücklich.
Wie groß waren damals auch die Möglichkeiten, Wassersport zu betreiben! Da gab es den Altrhein, der vom “ Steinernen Mäuerken! bis zur heutigen Kläranlage am Rheinglacis entlang sich hinzog und immer Wasser hatte. Dieser schöne Wasserlauf wurde durch die Anschüttung des Deloggeländes (damals Enkagelände oder der „Silberstreifen am Horizont für Wesel`s Wirtschaft“ ), trocken gelegt. Und dann gab es in der Aue den langen Altrheinarm von der Schlachthofstraße bis zum Kugelbaum am Rheinstrom oder, wie wir sagen, am „Grafsche Kopp“. Auch war der alte Hafen noch nicht zugekippt; dort konnte man einen Kahn, oder wie wir sagten einen „Nachen“, mieten und unter dem „Kalver Brückchen“ in den neuen Hafen rudern. So bot sich der abenteuerlustigen Jugend manche Möglichkeit, Wassersport zu betreiben.
Ja, so fing es an! Viele verspürten den Hang zum Wasser und fanden Befriedigung auf primitiven Planken. Und einigen der „Rheinkadetten“, die das Wasser vor ihrer Haustüre hatten, bauten sich auch damals schon einfache Boote zum Paddeln oder Rudern.
So war es, als durch den ersten Weltkrieg und die nachfolgenden turbulenten Jahre jede sportliche Initiative zum Erliegen kam.
Eine Sensation für den Wassersport!
Zuerst mussten wir noch die Hungerjahre, die Inflation, die Spartakuszeit und den Bürgerkrieg überstehen, um uns dem Sport wieder zuwenden zu können. Dann erlebten wir die Sensation im Wassersport: Das Faltboot. Klepperboote, Leipziger Boote und Kette-Boote erschienen auf dem Markt und wurden für die Wassersportler ein mit Sehnsucht begehrtes Sportgerät. Doch so ein Faltboot kostete in der damaligen Zeit, als der durchschnittliche Monatsverdienst eines Angestellten 200 RM betrug, runde 300 RM. Was blieb da anderes übrig, als selbst ein Boot zu bauen. Dieses ließ sich in der Gemeinschaft besser verwirklichen, nur einer Vereinsgemeinschaft konnte auch ein Bootshaus errichtet werden.
Gründung des Clubs!
So kam es zur Vereinsgründung. Es war im Mai 1925, als sich in der Gaststätte des Herrn Wilhelm Brasse in der Werftstraße 8 ehrenwerte, unternehmungslustige tatenhungrige junge Leute zusammenfanden, um den Weseler Kanu-Club zu gründen. Eine Anzeige in der Zeitung oder eine schriftliche Einladung erübrigte sich. Die Acht waren Freunde und kamen sowieso an jedem Abend zusammen.
Es gab ja noch keine Ablenkung durch Fernsehen, Radio oder Autofahrten. Die meisten waren froh, wenn sie ein Fahrrad ihr eigen nannten.
Hier die Namen der wacheren Acht:
Otto Küpper, Erich Petermann, Wilhelm Schwaack, August Schwaack, Franz Stamm, Hermann Stamm, Theodor Stamm, Theodor Springenberg
Schon vier dieser Vereinsgründer wurden bereits aus diesem Leben abberufen. Nun, die Acht hatten wirklich einen richtigen Verein gegründet, wozu nun einmal einige wichtige Formalitäten gehörten: Satzung, Vorstand und vieles mehr. Hätte man alle in der Satzung vorgeschriebenen Posten besetzt, dann würde sich der Club nur aus dem Vorstand zusammengesetzt haben. So begnügte man sich damit, als Clubleiter Wilhelm Schwaack und als Schriftführer Otto Küpper zu wählen. Alles andere, Kassierer, Sportwart, Bootswart usw. wurde zurückgestellt.
Bootsbau
Die Vereinsgründer waren keine Krösusse, es waren Handwerker und kleine Angestellte. Keiner besaß soviel Kapital, um sich ein Kaltboot für runde 300 RM kaufen zu können. Also hieß es: Selbstbau. Da kamen wieder die technisch begabten, die „Schiffsbauer“, die Allerweltskerle, die alles konnten, was die anpackten, dem gesamten Klub wie gerufen. Es waren vor allem Wilhelm und August Schwaack und Theo Stamm. Die ersten Boote wurden im Werkstattraum von August Schwaack am neuen Hafen gebaut. Als diese schnittigen Boote auf dem Rhein erschienen und nach einer Talfahrt längst des Steigers am Ufer entlang gegen den starken Strom dem neuen Hafen zusteuerten, da staunten die Leute am Ufer. Was waren das für tollkühne Burschen, die sich mit diesen „Seelenverkäufern“ auf den großen Strom hinauswagten! War es da Wunder, dass andere junge Leute es den erwähnten Acht gleichtun wollten? So kamen schon bald neue Mitglieder hinzu; im nächsten Jahr mögen es an die 25 gewesen sein.
Ein Großbootsbauprogramm wird gestartet!
Da erschien auch Fritz Kaune auf der Bildfläche und organisierte mit kaufmännischem Geschick ein Bootsbauprogramm, bei dem gleich 14 Einer nach einem Konstruktionsplan (Riss) von dem bekannten Schiffsbauingenieur Hegmann aus Hamburg auf Kiel gelegt wurden. Es waren sogenannte halbstarre Boote aus einem Holzgerippe mit einem Nesseltuch bespannt. Hier die Maße : 5,10 m lang und 63 cm breit. Der Einkauf des Materials, Holz, Kupfernägel, Drellstoff und Farbe erfolgte durch den schon erwähnten Manager Fritz Kaune gemeinsam, um einen möglichst günstigen Preis zu erzielen. In den Abendstunden ging dann unter der Leitung von Theo Stamm, der das Holz maßgerecht zugeschnitten hatte, das Sägen, Hämmern, Kleben, Schleifen und Pinseln los. Der Schweiß rann in Strömen, weil jeder seinen Ehrgeiz darin setzte, als erster fertig zu sein. Neben dem Schweiß musste manches Opfer an Geld und Zeit gebracht werden, bis so ein schmuckes Boot „vom Stapel laufen“ konnte. Die reinen Materialkosten betrugen immerhin 60 RM. Der Leser möge dabei bedenken, dass man die damalige Zeit nicht mit der heutigen vergleichen kann.
Die ersten Regatten!
Überall, wo die schmucken und schnittigen Boote auftauchten, erregten sie Neid und Bewunderung. Wie mancher junge Mann schaute vom Ufer aus mit Sehnsucht auf die Kanuten, die sich mit kräftigen Paddelschlägen so schnell auf den Wellen des Rheins vorwärts bewegten. Des Samstagsnachmittags und des Sonntags gab es fast nur gemeinsame Ausfahrten. Das Ziel der Fahrten war vielfach die „Wacht am Rhein“ oder die „Rose“. Unterwegs gab es dann so ganz von selbst, aus dem sportlichen Ehrgeiz geboren, kleine Rennen, ein Kräftemessen. Wer war der Schnellste im Club? Nun, das wollten wir doch genau und offiziell wissen. So wurden bereits seit dem Jahr 1927 Clubregatten ausgeschrieben und der jeweilige Clubmeister ermittelt und geehrt.
Auch das gehörte dazu: Das Kind musste einen Namen haben!
Ja, das Boot musste einen Namen haben. Das war zudem wasserpolizeiliche Vorschrift. Wer keinen Namen und Clubstander am Boot hatte, musste mit einer großen Nummer fahren und das war für uns Clubmitglieder doch ein bisschen entwürdigend. Es war immer ein Problem, einen richtigen Namen zu finden. Hierbei dam es darauf an, einen attraktiven Namen zu wählen und zudem einen Namen, den die andern noch nicht hatten. Ohne Zweifel waren Mädchennamen recht beliebt. Mit dem Namen der Freundin oder Braut konnte man dem weiblichen Geschlecht imponieren. Komplikationen gab es jedoch, wenn ein Wechsel bei der Wahl der Freundin eintrat. Wie unangenehm war das, wenn eine Lore zu einer Mondscheinfahrt in einem Boot „Paula“ eingeladen wurde. Da wird sicherlich die Lore komisch geschaut haben. Und in den Brautwechselfahren befanden sich die jüngeren Kanuten des öfteren… Warum auch nicht!
Da waren die Sternnamen und die Namen der Wasservögel schon unverfänglicher: Jupiter, Venus, Skorpion, Delphin und Orion oder Möwe, Kormoran, Adler, Falke usw. Ja, was stand sonst noch an Bootsnamen zur Auswahl, einige Städtenamen und zum Schluss noch der Vagabund. Auf jeden Fall fand zu guter Letzt ein jeder einen Namen nach seinem Geschmack, und das Boot konnte mit Rheinwasser getauft werden. Sekt war damals noch unerreichbar; und wenn wir ihn hätten erreichen können, dann wäre er wohl durch die Kehle geflossen, statt über den Bug den kleinen Schiffes zu laufen, um im Sand zu versickern.
Wir bauen uns ein Bootshaus
Nachdem nun eine Teige von booten zur Verfügung stand, brannte uns das Bootshausproblem auf den Nägeln. Wir benötigten dringend ein Heim für die Boote und ein Heim für die Kanuten. Der Bootshausbau war damals vielleicht noch schwieriger als heute. Es gab keine Zuschüsse vom Land, Kreis oder der Stadt, es gab noch keinen Grenzlandfonds, keinen Landessportbund, dafür waren die Ansprüche nicht so hoch geschraubt wie heute.
Zunächst galt es einen Platz zu finden, der möglichst in Rheinufernähe lag. Da kam uns der Ölkaufmann Schetter entgegen und stellte uns auf dem Dreieck, etwa 150 m oberhalb der Eisenbahnbrücke, dort, wo die Werftbahn zur Stadt hin abzweigt, einen Bauplatz zur Verfügung. Wir atmeten auf, nachdem diese Voraussetzung für den Bau geschaffen war. Nun galt es, ohne große geldliche Aufwendungen – Geld war Mangelware – etwa zu erstellen, das erstens für etwa 20 Boote eine Unterstellmöglichkeit bot und zweitens den Mitgliedern einen Clubraum für die fast täglichen Zusammenkünfte schenkte. Da Vater Staat gerade mal wieder Restbestände aus dem 1. Weltkrieg ausverkaufte konnten wir von der Garnisonverwaltung eine alte Militärbaracke erwerben. Billig, versteht sich Sie war zum Auseinandernehmen, also transportabel und mit Hilfe geschickter Hände auch tatsächlich wieder zusammen zu bauen. So konnten wir mit ruhigem Gewissen dieses „Bauwerk“ als Bootshaus bezeichnen. Die ganze Sache hatte jedoch einen Haken: Das Gelände war nicht hochwasserfrei. Vor 40 Jahren war Vater Rhein noch nicht so gezähmt wie heute; er trat fast in jedem Jahr nach der Schneeschmelze über die Ufer, überschwemmte die Werftanlagen und die Wiesen um den Römerwardhof. Was blieb den „Planern“ anders übrig, als den ganzen Bau auf Stelzen zu stellen, damit ein einsetzendes Hochwasser schön brav darunter hinweg fließen konnte. Und so geschah es auch. Alle Mitglieder spukten in die Hände und errichteten diesen modernen Pfahlbau in wenigen Wochen. Nach dem Rhein hin wurde ein kleiner Clubraum abgetrennt, zu dem eine breite Freitreppe hinauf führte. Dann war sogar eine überdachte Terrasse da, von der aus man einen herrlichen Blick auf den breiten Rheinstrom nach des Tages Arbeit genießen konnte. Die 14 Bauherren, so stark war inzwischen der Club angewachsen, sagten sich damals: „Klein, aber gemütlich“. Und wie stolz waren die Männer auf ihr erstes Bootshaus, wozu jeder immerhin zwischen 180 RM und 300 RM beigesteuert hatte.
Da kam schon die erste Katastrophe!
Nach einem erlebnisreichen Sommer im Jahre 1926 brach schon früh der Herbst mit starken Regenfällen und anschließend ein Winter mit hohem Schnee herein. Das Wasser stieg höher und höher. Im Februar 1927 zeigte der Weseler Pegel 8,35 m. (nach heutiger Messung: 12,35 m). Mit großer Besorgnis sahen die Kanuten das Wachsen des Wassers, jede freie Minute verbrachten wir am Strom, der mit ungestümer Macht seine lehmig-gelben Massen dahin wälzte. Die Straße zum Bootshaus war von den Wellen bereits überspült, als einige Kameraden ihre Boote in letzter Minute in Sicherheit bringen konnten. Jetzt schlugen die Wellen schon gegen den Boden des auf Pfeilern errichteten Bootshaus. Wird die Baracke dem Wasserdruck standhalten? , so lautete die bange Frage. Wir wollten auf jeden Fall nichts unversucht lassen. Mit Booten fuhren wir zum Bootshaus, das nun schon ganz unter Wasser stand, spannten kräftige Drahtseile um das Haus, sogar über das Dach, und befestigten diese Seile an den dicken Pappeln, die an der Rheinpromenade heute noch stehen.
Die Kräfte der Natur waren jedoch stärker als Menschenwerk. Mit ungeheurer Wucht lastete der Wasserdruck gerade an dieser Stelle auf der Seitenwand des Bootshauses. Hinzu kam das bei Hochwasser sich immer einstellende Treibgut: Baustämme, Holzgerümpel, Fässer, ja ganze Baubuden prallten mit der Wucht der Strömung gegen unser mit so großen Opfern errichtetes Haus. Es wurde weggerissen wie ein Kartenhaus. Am nächsten Morgen, als wir wie üblich mit dem Boot nach dem Rechten sehen wollten, war nichts mehr zu sehen. Die elementare Kraft des Wassers hatte unser Werk zu Nichte gemacht. Als das Hochwasser zurückgegangen war, fanden wir einige Teile als Trümmer an der Eisenbahnbrücke und auf den Weiden unterhalb der Brücke zerstreut wieder.
Neues Beginnen
Nun zeigte sich nach diesem harten Schicksalsschlag, aus welchem Holz die Kanuten geschnitzt waren. Keiner resignierte, keiner gab auf, alle packten an, um an der Eisenbahnbrücke ein neues Bootshaus zu erstellen.
„Landkreis Rees Heimatkalender 1968“ – Willi Breuer